Hands-on Adjustments – Tool und Skill im Yogaunterricht
Yogahaltungen mit den Händen zu vermitteln, ermöglicht es Praktizierende auf einer anderen – vielleicht unmittelbaren – Erfahrungsebene zu erreichen.
Dieses Plädoyer für Hands-on-Adjustments im Yogaunterricht beleuchtet die Methodik und zeigt, dass manuelle Unterstützung wertvoll ist, wie sie eingesetzt werden kann und wo ihre Grenzen liegen.

Hands-on: Adjustments und Assists
Das manuelle Unterrichten wird als Hands-on-Adjustments oder Assists bezeichnet.
Meist findet die Berührung mit den Händen statt, aber auch Bein, Knie oder Fuß eigenen sich gut, um Übende zu unterstützen oder zu korrigieren.
Neben Hands-on gibt es weitere Adjustments nämlich verbales Anleiten und Demonstrieren mit dem eigenen Körper oder durch ein Modell.
Nadezhda Georgieva unterschiedet in ihrem Buch „Hands on Yoga“ zwischen Adjustments und Assists. Bei ersteren gehe es darum die Praktizierenden mit eher kurz ausgeführten Griffen in die „korrekte Ausführung“ zu bringen, und bei letzteren darum „Körperpartien zu dehnen, auszurichten oder Druck auszuüben“. Assists brauchen also oft mehr Zeit und sollen weiter und tiefer in die Asanas führen. (Georgieva, S. 10)
Das Verb adjust lässt sich übersetzen mit: angleichen, bereinigen, arrangieren, anpassen, einstellen, berichtigen, ausgleichen, umstellen, ordnen… und assist mit: helfen, unterstützen, assistieren, mitwirken…
Diese Verben beschreiben das Spektrum an Absichten und Wirkungen, die ein im Yogaunterricht eingesetzter Körperkontakt haben kann.
Hands-on-Adjustments unterscheiden heutigen Yoga vom frühen Hathayoga.
Dr. Laura von Ostrowski fasst es so zusammen: Adjustments sind moderne Praktiken, die im Kontakt mit der westlichen Körperkultur entstanden sind. Heutige Hathayogis in Indien nutzen keine Berührungen. Auch jüngere Hatha Yoga Texte aus dem 18 Jh. zeugen nicht davon. „Krishnamacharya nutzte Körperkontakt in den 1920er Jahren. Vielen sind die Fotos von Yogademonstrationen mit Kindern mit ihm bekannt. Möglicherweise war diese Praktik auch ein Mittel zur Züchtigung, wie in den 20er und 30er Jahren weltweit verbreitet. Akteure anderer Bewegungsformen, wie auch Pilates, nutzten unterstützende Berührung.“ (von Ostrowski)
Wozu werden Hands-on eingesetzt?
Hands-on wirken direkt, ohne Umweg über das Intellektuelle. Darin liegt ihr großes Potenzial. Das Gefühl für den eigenen Körper kann klarer werden, da die Aufmerksamkeit direkt dorthin fließt, wo er berührt wird. Eine Körperstelle, die möglicherweise noch nie wahrgenommen wurde, oder die im inneren Körperbild unterrepräsentiert ist, beispielsweise ein Teil des Rückens, wird dadurch bewusst. Die Propriozeption, also die tiefe Wahrnehmung von Gelenkstellungen, der Postition des Körpers und von Körperteilen im Raum wird begünstigt. (wiki) Außerdem kann das Asana tiefer empfunden oder neu erlebt werden.
Je nach Art des taktilen Reizes kann eine Bewegungsrichtung gegeben oder ein energetischer Impuls gesetzt werden. Ein Längen aus dem Gelenk heraus zum Beispiel kann das Empfinden von Raum und Weite im Innern erzeugen oder ein konkretes Erden in Richtung Boden ein Gefühl von Stabilität. Die Ausführung eines Asanas kann intensiviert oder kraftfordernde Positionen entlastet werden. Möglicherweise lösen sich somatische oder emotionale Spannungen.
Eine Yogahaltung kann durch Hands-on auch korrigiert werden. Sei es dass sie anatomisch ungünstig ausgeführt ist oder nicht der eigentlichen Form entspricht.
Wenn sich Übende und Unterrichtende gut kennen, können diese Körperkontakte bei den Übenden wohltuend und bestärkend erlebt werden.
Dabei müssen die Grenzen beider Beteiligten gewahrt werden. Darauf gehe ich unten noch ein.
Eine Hand an Flanken oder Rücken platziert, lenkt den Atem des Übenden mit dem entsprechenden verbalen Hinweis dorthin. Der Effekt ist ein Sensibilisieren für Atemqualität und -räume.
Nicht zuletzt ermöglicht eine physische Hilfestellung Übenden Haltungen, die sie allein nicht einnehmen könnten. Ein Beispiel ist der Handstand. Viele Menschen sind in der Lage diesen auf eine sichere Weise auszuführen, wenn sie dabei unterstützt werden. Die Erfahrung auf den eigenen Armen umgekehrt stehend den eigenen Körper zu balancieren und sich kraftvoll zu spüren ist nach meiner Erfahrung für viele Übende sehr bereichernd.
Es gibt für jedes Asana eine Palette an Adjustments, aus der das für die jeweilige Person das jetzt passende ausgewählt wird.
Diese Fragen sind hilfreich: Ist das Asana (anatomisch) gut ausgeführt? Wie ist das Verhältnis von Spannung und Entspannung? Wie ist es mit Aktivierungsrichtung und Schwerpunkt? Wie fließt der Atem? Kann oder soll ein ganz neuer Übungsimpuls gesetzt werden? Soll nur eine Körperregion oder die Stellung als Ganzes adressiert werden?
Daraus ergibt sich, wie die Unterstützung ausfällt: Verbale Hinweise, Demonstration, Berühren, eine Kombination daraus oder auch bloßes Schauen.
Es braucht Klarheit über das, was mit einem eventuellen Eingreifen bewirkt werden soll.
Für Lehrende bedeutet dies, die Beobachtung zu schulen.

Wie werden Hands-on ausgeführt?
Die Voraussetzung, um hilfreiche taktile Impulse geben zu können, ist ein solides „Hand-werkszeug“, das über lange Zeit gelernt werden will. Anatomische Kenntnisse sind nötig, um Yogasana zu verstehen.
Sichere Hands-on-Techniken können nur von erfahrenen und geduldigen Lehrerpersonen erlernt werden. Yogalehrausbildungen, Adjustmentkurse oder Hospitationen und Assistenzen im realen Unterricht sind geeignete Lern-Settings.
Für die Wahl und Ausführung von Hands-on kommen Besonderheiten der Teilnehmenden ins Spiel wie Körpergröße, Gewicht, Beweglichkeit bzw. Festigkeit, individuelle Einschränkungen, Praxiserfahrung, Tagesform und vieles mehr.
Es ist jedes Mal wichtig sich als Hands-on Gebende selbst gut auszurichten, um effizient eventuell auch mit dem eigenen Körpergewicht zu adjusten ohne sich zu erschöpfen oder gar zu verletzen. Es braucht einen stabilen Stand mit austariertem Schwerpunkt. Die Faustregel ist, sehr nah bei – wenn nötig auch über – dem Übenden zu stehen.
Je nach Intention kann der Kontakt gelenksnah (dort, wo die Bewegung entsteht) oder –fern sein und mit Handballen, ganzer Hand, Fingerspitzen, Knien oder Füßen gegeben werden. Ein Impuls kann Druck, Zug oder Rotation auslösen, längen, kürzen oder stabilisieren. Ein Reiz kann punktuell oder flächig sein, eher oberflächlich oder tiefer wirken. Es kann mehr oder weniger kraftvoll berührt werden.
Beginn und Ende der Unterstützung sollten für die Übenden deutlich erkennbar sein. Durch Blickkontakt, Ansprache oder auch Körpersprache (fester Schritt anstatt „Anschleichen“) wird die Berührung angebahnt. Die Berührung ist zunächst zwar deutlich, aber behutsam und kann dann intensiver werden. Sie ist entweder ein kurzer Ausrichtungsimpuls oder begleitet die Übende einige Atemzüge lang, gibt dann sanft nach und endet schließlich durch loslassen. Währenddessen oder danach kann Feedback eingeholt werden, ob es so wirkt, wie beabsichtigt oder ob Richtung und Intensität stimmt.
Wichtig ist ein klarer und gezielter Stimulus. Ungenaue Griffe, zu leicht oder zu fest, zu kurz oder viele verschiedene Berührungen führen zu Verwirrung oder gar Verunsicherung. Streichende Berührungen sollten ebenfalls präzise sein (z.B. ein Auseinanderstreichen der Schulterblätter) und ein Streicheln ist zu vermeiden.
Es gibt Hilfestellungen, die das Momentum der Praktizierenden aufnehmen und begleiten bzw. in der Bewegung mitgehen. Beim Schwingen oder Springen in den Unterarm- oder Handstand ist es wichtig Tempo und Rhythmus des Praktizierenden zu erspüren und zu begleiten. Bewegungsrichtung und ein eventuelles Ausscheren sind zu antizipieren, vorausgehende verbale Absprachen sorgen für Klarheit und Einvernehmen.
Wie bei allen Unterrichtsmethoden, führt zunehmende Erfahrung und Selbstvertrauen dazu, sich von der reinen Technik zu lösen und intuitiv(er) zu unterstützen.
In welchen Unterrichtsarten eignen sich Hands-on?
Im Ashtanga Vinyasa Yoga, der oft im Mysore Style unterrichtet wird, sind Hands-on die typische Unterrichtsmethodik. Die Praktizierenden üben in Mysore-Stunden selbständig und im eigenen Tempo in individuellen Varianten und es gibt keine Gruppenanleitung. Soist genug Zeit, sich für eine Weile ganz einem Teilnehmenden zu widmen.
Auch im Mysore Style sind Hands-on kein Muss; es kann ohne Körperkontakt gelernt und gelehrt werden.
Im angeleiteten Unterricht, kann eine individuelle manuelle Hilfestellung oder Korrektur punktuell und in Kombination mit verbalen Anleitungen, die sich zugleich auch an die gesamte Gruppe richten, eingesetzt werden. Die Kunst besteht dabei darin, Zeitfenster entstehen zu lassen, die es ermöglichen manuell zu unterstützen und gleichzeitig den Kontakt zur Gruppe sowie Tempo und Rhythmus beizubehalten.
In ruhigeren Phasen der Stunde können Hands-on sinnvoll eingesetzt werden; Yin-Yoga-Momente eigenen sich dafür gut.
Hands-on können in Seminare oder Workshops bereichernd integriert werden, um bestimmte Ausrichtungsmerkmale oder Körperregionen zu verdeutlichen oder Teilnehmende in Partnerübungen die Wirkung von Hands-on erfahren zu lassen, als Gebende und als Empfangende.
Im Einzelunterricht lassen sich Hands-on sehr gut einsetzen.
Consent und Grenzen von Hands-on
Das Potential von Hands-on ist für mich überzeugend.
Dabei ist Grundvoraussetzung gegenseitiges Einvernehmen. Es ist unerlässlich das Einverständnis der Übenden einzuholen und sich dessen auch immer wieder neu zu versichern.
Ebenso wichtig ist es, regelmäßig daran zu erinnern, dass Feedback erwünscht ist, und dass es wichtig ist, mitzuteilen, ob Gefühle des Unbehagens, wie Enge oder nicht mehr selbstbestimmt zu sein, ausgelöst werden oder Schmerz etc. Es ist eine Atmosphäre zu schaffen, in der es erwünscht und für alle möglich ist „nein“, „Stopp“ oder „es reicht so“ zu sagen. Leicht kann eine Dynamik entstehen, in der dies schwierig bis unmöglich wird, wenn scheinbar die ganze Gruppe Hands-on positiv bewertet oder weil es „immer schon so war oder eben dazugehört“.
Der Grat zwischen Unterstützung und Übergriff ist manchmal schmal.
Yogalehrende müssen eine andauernde Selbstbeobachtung und –reflexion hinsichtlich des Umgangs mit dem Machtgefälle in der Yogastunde etablieren.
Die Enthüllungen der Vergehen von Pattabhi Jois (und anderer namhafter Yogalehrer) haben den dringend notwendigen Diskurs und das Nachdenken über Körperkontakt im Yogaunterricht angeregt und unter vielen Lehrenden einen neuen, bewussten Umgang mit sich gebracht. (Remski)
Viele Lehrende setzen seitdem beispielsweise Consent-Karten ein, die Übende je nach Befinden und Bedürfnis neben die Matte legen: „Ja, bitte“ oder „Nein, danke“.
Auch diese Methode hat ihre Grenzen, da es zu einem Gruppendruck kommen könnte, wenn stets überall ein „Ja“ neben der Matte liegt.
Dass Zustimmung zu Hands-on als Norm empfunden wird, lässt sich vielleicht aufbrechen, indem die Frage zu Beginn der Yogastunde lautet: „Wer möchte heute Hands-on-Adjustments?“ anstatt: „Wer möchte heute keine Hands-on?“
Es muss gut erklärt werden, was Hands-on sind, damit Teilnehmende die für sie richtige Entscheidung überhaupt treffen können.
Wenn Lehrerinnen einem „Stopp“ oder „heute nicht“ begegnen, kann sich dies abweisend anfühlen. Darüber müssen sich Lehrende bewusst sein. Das Assist muss dann sofort beendet oder gar nicht erst begonnen werden. Die Lehrperson muss unkommentiert und wohlwollend auf Abstand gehen.
Es kann vorkommen, dass Praktizierende Adjustments einfordern, die Lehrende nicht, nicht immer oder aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht bei dieser Person geben wollen oder können. Übenden muss klar sein, dass es keinen Anspruch auf Hands-on gibt. Auch für diese Klarheit tragen Lehrende die Verantwortung.
Wenn Hands-on nicht korrekt ausgeführt werden, besteht ein Verletzungsrisiko. Daher: Weniger ist mehr, und wenn Klarheit fehlt, sollte ganz darauf verzichtet werden.
Es muss für alle im Raum eine Atmosphäre von Sicherheit und Vertrauen geschaffen sein. Das Halten solcher Räume ist der Kern allen Unterrichtens – unabhängig von der Lehrmethodik.
Fazit
Es gibt viele Methoden Yoga zu unterrichten. Dazu gehören verbale Anleitung, Demonstration, spielerisches Ausprobieren, Hands-on uvm. Die Auswahl muss zur Lehrperson, dem Setting und den Übungsinhalten passen. Ein natürliches, einfühlsames Unterrichten lässt das gemeinsame Erleben und Miteinander von Lehrperson und Teilnehmenden fruchtbar sein.
Es braucht den eigenen aufrichtigen Wunsch mit Händen und mit dem Körper zu unterrichten, in leiblichen Kontakt zu gehen und den Wunsch Feedback zu erhalten. Es braucht Fingerspitzengefühl, eine professionelle Distanz und vor allem Freude.
Hands-on sind ein wirksames Instrument im Yoga-Unterricht. Sie erfordern Können und Geschick: Gut eingesetzt, nuanciert, wohl dosiert und präzise ausgeführt sind sie eine unkomplizierte Möglichkeit zu vermitteln, was Worte manchmal nicht können.
Schreib mir. Hast du Hands-on selbst erfahren? (Wie) hast Siedudas Hands-on-adjusten gelernt? Nutzt du es? Welche Erfahrungen hast du gemacht? Was spricht aus deiner Sicht dafür, was dagegen? Nutzt du ein passendes deutsches Wort? Ich freue mich über einen Austausch.
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